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Medizin als Beruf:

Buch dazu anzeigenBuch zum Thema: Beruf: Frauenarzt. Erfahrungen und Erkenntnisse eines Gynäkologen.
Hans Harald Bräutigam
Gebundene Ausgabe - 254 Seiten (1998) Hoffmann u. C., Hbg.; ISBN: 3455112412

"Professioneller Wandel und Herausforderungen für die Psychodiagnostik - verdeutlicht am Beispiel der Medizin. "

Aus einem Manuskript von 1996

Dr. Hans-Uwe Hohner

Bücher von Dr. Hohner:Buch dazu anzeigen Der neue Test zum Medizinstudium
Hans-Uwe Hohner, u. a. / Taschenbuch / Erschienen 1996

Übersicht:

 

Die Medizin als die dominante Profession in unserem Gesundheitswesen befindet sich derzeit in einer krisenhaften Entwicklung: Das im Medizinstudium vermittelte Arztbild entspricht immer weniger den Realitäten von heute und morgen. Aus diesem Grunde werden von vielen Seiten Anstrengungen unternommen, ein neues Leitbild zu definieren und dies in Ausbildung und Beruf zu verankern. In diesem Zusammenhang ist auch die psychologische Diagnostik aufgefordert, ihren Beitrag zu leisten.

Denn wie sie alle wissen, ist die Zulassung zum Medizinstudium seit bald dreißig Jahren durch einen scharfen Numerus Clausus gekennzeichnet. Natürlich interessiert es gerade Psychologen, wodurch sich Personen auszeichnen, die den Flaschenhals der Medizinzulassung erfolgreich passieren. Und in eignungsdiagnostischer Perspektive stellt sich die Frage, wie gut die ausgewählten Personen dem ärztlichen Leitbild von morgen entsprechen. Diese Frage gewinnt noch an Bedeutung, wenn man sich die Konsequenzen dieser Selektion klar macht: denn von 100 heute zugelassenen Medizinstudenten werden voraussichtlich 92 ihr Studium erfolgreich abschließen.

- Welche Eigenschaften, welche Kenntnisse, welche Fähigkeiten und welche Fertigkeiten müssen also gute Ärzte haben?

- Können diese Kompetenzen im Sinne eines Anforderungsprofiles differenziert beschrieben werden?

- Und können die diesbezüglich geeigneten Personen dafür schon frühzeitig ausgewählt werden? Oder können diese Kompetenzen ausschließlich in der Ausbildung oder womöglich erst im Beruf erworben werden?

Um diese Fragen genauer zu erörtern ist es nötig, jene Voraussetzungen zu benennen, die zu der heutigen Krise geführt haben. Ich werde deshalb zunächst auf die Professionalisierung der Medizin eingehen. Danach will ich die psychologisch-diagnostischen Aspekte erörten. Dabei wird deutlich, daß die am Beispiel der Medizin diskutierten psychodiagnostischen Herausforderungen im Grundsatz auch für andere professionalisierte Berufe gelten.

Was macht nun einen "gewöhnlichen Beruf" zu einer Profession?

In der Literatur werden folgende Elemente als wesentlich betrachtet:

- Danach gehört zur professionellen Tätigkeit eine fachliche Kompetenz auf der Grundlage theoretischen Wissens, das im Zuge einer wissenschaftlichen Ausbildung erworben wird.

- Weiter ist die berufliche Ausübung der erworbenen Kompetenz an spezielle Zulassungsverfahren gekoppelt.

- Drittens ist der Markt für das fachliche Wissen geschlossen. Die entsprechenden Leistungen dürfen nur von den Mitglieder der jeweiligen Profession erbracht werden.

- Viertens verbleibt die fachliche Kontrolle allein bei den Mitgliedern der Disziplin. Dabei sind die verbindlichen Standards in einem berufsethischen Kodex festgelegt.

- Fünftens ist die Funktion der Profession durch soziale Werte legitimiert. Bei der Theologie geht es etwa um das moralisch Gute, bei der Jurisprudenz um Gerechtigkeit, bei der Medizin geht es um Gesundheit, bei Lehrern um den Bildungsauftrag. Diese Legitimation ermöglicht eine weitreichende Handlungsautonomie, da die Tätigkeit nur durch individuelles Ethos und indirekte professionsinterne und -externe Kontrollen begrenzt wird.

Dieses struktur-funktionalistische Paradigma der medizinischen Profession kann subjektorientiert ergänzt werden: Man hat nicht den Beruf des Arztes, des Theologen, des Juristen, des Psychologen; man ist Arzt, man ist Theologe, man ist Jurist, und man ist Psychologe. Das Verhältnis von Arbeit und Leben erscheint in der Profession als untrennbar miteinander verknüpft.

Wichtige Voraussetzungen eines Berufstandes, nämlich eine Ausbildung und eine Berufsordnung lassen sich für die Medizin schon in vorchristlicher Zeit nachweisen. Bereits vor fünf Jahrtausenden finden sich älteste Formen einer heilerischen Ausbildung.

Ärztliche Siegel bezeugen, daß es im Sumerer-Reich bereits um 3000 vor Christus Ärzte als eigenen Berufsstand gegeben hat. Im ältesten erhaltenen Gesetzbuch, dem Codex des Königs Hammurapi von Babylon (1728-1686 v. Chr.) finden sich auch Bestimmungen über die Bezahlung ärztlicher Tätigkeit und über Strafen für eine schlechte Praxisausübung. Ich zitiere:

"Wenn der Arzt einen Herren behandelt und einen Abszeß mit dem Messer öffnet und das Auge des Patienten erhält, so soll er 10 Shekel Silber erhalten. Ist der Patient ein Sklave, so soll sein Herr zwei Shekel Silber bezahlen. Wenn der Arzt einen Abszeß mit einem stumpfen Messer öffnen und den Patienten töten oder sein Augenlicht zerstören sollte, so soll seine Hand abgeschnitten werden."

Wie dies Zitat deutlich macht, gab es also schon vor 3000 Jahren in einer der frühen Hochkulturen eine ärztliche Gebührenverordnung und offenbar auch schon Vorläufer von Kassenpatienten (=die Sklaven) und Privatpatienten (=die Herren), bei denen für die gleiche ärztliche Leistung unterschiedliche Honorarsätze zur Anwendung kamen. Ich kann an dieser Stelle natürlich nicht die historische Entwicklung der Medizin von den frühen Hochkulturen, über die griechischen Ärzte und die Heilerinnen und Heiler des Mittelalters bis heute skizzieren - so reizvoll dies auch wäre. Ich springe deshalb aus dem vorchristlichen Babylon direkt in die Mitte des vorigen Jahrhunderts. Denn dort ist letztendlich das Fundament für die Dominanz der medizinischen Profession im heutigen Gesundheitswesen gelegt worden. Neben anderen Ursachen waren dies auch zwei ministerielle Verfügungen, die in Preussen im Jahre 1851 und 1852 erlassen worden waren. Dies bislang stark zergliederten Heilberufe wurden nunmehr der Oberaufsicht der universitär ausgebildeter Mediziner unterstellt. So trat etwa an die Stelle des früheren Wundarztes II. Klasse nun der Heildiener. Dieser wurde durch den Kreisphysikus auf Widerruf konzessioniert. Im zweiten preussischen Erlaß wurden die bis dahin eigenverantwortlich praktizierenden Hebammen in der Ausübung der Geburtshilfe ebenfalls der Oberaufsicht der im übrigen durchgehend männlichen Ärzteschaft unterworfen.

Einige Zahlen mögen den rasanten Aufschwung charakterisieren, den die Medizin seither genommen hat: Kamen vor hundertundzwanzig Jahren nur 30 Ärzte auf hunderttausend Einwohner, so hat heute die Versorgungsdichte mit mehr als 300 Ärzten auf hunderttausend Einwohner einen Grad erreicht, der nur noch von Schweden und Dänemark übertroffen wird.

In absoluten Zahlen ausgedrückt heißt dies: In den hundert Jahren von 1880 bis 1980 ist die deutsche Ärzteschaft von knapp 14000 Ärzten auf 140000 angewachsen. In den zwanzig Jahren von 1980 bis ins Jahr 2000 wird sich die absolute Ärztezahl noch einmal verdoppelt haben - und dies bei einer konstanten oder sogar rückläufigen Einwohnerzahl. Betrachten wir die Entwicklung des Ärzteeinkommens seit der Nachkriegszeit, dann fallen zwei bemerkenswerte Tatbestände ins Auge. Zum einen liegen die niedergelassenen Ärzte immer am oberen Ende der Verdienstskala. Und zum anderen erzielten die niedergelassenen Ärzte vor allem in den 60iger Jahren einen im Vergleich zum Durchschnittseinkommen der erwerbstätigen aber auch etwa zu den Notaren und Rechtsanwälteneinen stark überproportionalen Verdienstzuwachs. So stieg in den zehn Jahren von 1961 bis 1971 das Jahreseinkommen von 43 000 DM auf 117 000 DM. Die vergleichbaren Zahlen betragen für die Rechtsanwälte den Anstieg von 38 000 auf 79 000 DM. Das Durchschnittseinkommen aus unselbständiger Beschäftigung stieg im gleichen Zeitraum von knapp 8000 DM auf 18 000 DM. Eine weiteres Moment des professionellen Wandels betrifft die Differenzierungs- und Spezialisierungstendenzen im Tätigkeitsbild der heutigen Medizin. Einen analogen Trend finden wir ja etwa auch bei den Juristen, die von einem zunächst einheitlichen Berufsbild in eine Viezahl von spezialisierten Experten zerfallen sind. Während in den letzten dreißig Jahren die Anzahl der niedergelassenen Allgemeinpraxen unverändert bei rund 30000 liegt, haben sich im gleichen Zeitraum die Praxen von Spezialisten fast verdreifacht. Sie stiegen von 15000 im Jahr 1960 auf 40000 im Jahr 1985 an.

Aber trotz der skizzierten Wachstumsphasen auf allen Gebieten zeichnen heute viele praktizierende Ärztinnen und Ärzte ein eher besorgtes Bild von der Zukunft ihrer Profession. Diesen Eindruck vermittelt jedenfalls ein Item aus einer im letzten Jahr durchgeführten eigenen Explorationsstudie an 74 niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten. Der Vorgabe "Ich würde auch heute meinen Kindern oder guten Freunden empfehlen, Medizin zu studieren" stimmten nur 5% der Befragten "vollkommen" zu. Immerhin 22% stimmten dieser Aussage "weitgehend" zu. Dagegen sehen aber fast zwei Drittel der Befragten in einem Medizinstudium offenbar keine attraktive berufliche Option mehr. Wie ist diese skeptische Tendenz zu erklären? Nun, zum einen drückt sich darin sicherlich bei vielen Befragten eine Verärgerung oder Resignation - vor allem wegen der zweite Stufe der Gesundheitsreform, aus. Denn diese hat in vielerlei Hinsicht zu spürbaren Verschlechterungen geführt, von denen in erster Linie die niedergelassenen Ärzte betroffen sind. Möglicherweise zeigt sich aber auch jenes Phänomen, das von vielen - und bei weitem nicht nur von den besonders kritischen Medizinern - als Krise der Medizin bezeichnet wird. Ich meine damit die Diskrepanz zwischen den tatsächlichen Anforderungen an den heutigen Arzt und dem, was die angehenden Mediziner in ihrer Ausbildung lernen und wie sie das tun.

Wie soll also der ideale Arzt von morgen beschaffen sein? Über welche Kompetenzen muß er verfügen?

Auf einem Symposium zum Thema Eignungsdiagnostik und Medizinistudium, das im Oktober an der Universität Fribourg stattfand, zeichnete der Physiologe Fritz Baumann vom Centre Medical Universitaire der Universität Genf folgendes Bild. Danach sind wirklich kompetente Ärzte in der Lage, den Prozess des medizinischen Problemlösens zu meistern (masters the process of medical problem solving); sie verfügen über ein breites Wissen und über vielfältige Fertigkeiten (.. has broad knowledge and skills); sie sind gründlich wissenschaftlich ausgebildet (... is scientifically educated); sie sind flexibel; sie kennen ihre persönlichen Grenzen; sie sind willens und in der Lage, sich lebenslang fortzubilden und sich weiter zu entwickeln. Und schließlich verfügen sie über die richtige Einstellung (.. the right attitude; damit meint Baumann solche Aspekte, die man in psychologischer Terminologie auch als Empathie und als Rollendistanz bezeichnen könnte).

Dieses differenzierte Anforderungsprofil deckt sich übrigens in mancherlei Hinsicht mit jener Auffassung, die der Naturforscher und Arzt Theophrast von Hohenheim - er wurde unter seinem latinisierten Namen Paracelsus als Reformator der Medizin bekannt - bereits vor 500 Jahren vertreten hatte. Er ging dabei von einem Glauben an die "wunderbare Selbsthilfe der Natur" aus. Dabei habe der Arzt "die heilige Sendung, das von Gott verliehene Amt zu fördern, er habe dort einzugreifen und anzufangen, wo die vis vitalis, die Lebenskraft, erlahme. Der tiefste Sinn des ärztlichen Helfers sei die Liebe" ...

Drei Aspekte, die sich in beiden Arztbildern finden, scheinen mir besonders bemerkenswert zu sein. Einmal erstaunt, daß sich die "humanistisch-ganzheitliche" Auffassung von Paracelsus auch im Berufsbild von Baumann findet. Die von Paracelsus geforderten Aspekte der Mitmenschlichkeit, der Mitleidensfähigkeit, der Brüderlichkeit finden sich ja zu einem gewissen Teil auch in den von Baumann benannten ärztlichen Kompetenzen oder lassen sich zumindest in diese übersetzen. Zum anderen erstaunt das Ausmaß solcher Kompetenzen, die außerhalb und zusätzlich zu den spezifischen medizinischen Wissensbeständen und Fertigkeiten im engen Sinn gefordert werden: also Kompetenzen wie die Fähigkeit zum angemessenen Selbstmanagement, die Bereitschaft und die Fähigkeit zum lebenslangen Lernen und zur Flexibilität, aber auch soziale Fähigkeiten und Haltungen wie Mitmenschlichkeit, Empathie oder Kooperationsfähigkeit.

Warum tauchen aber derartige Kompetenzen weder als Lernziele noch als Prüfungsinhalte im universitären Studium auf? Wie ist es zu der Diskrepanz gekommen, die zwischen den heutigen Anforderungen an einen guten Arzt und der tatsächlichen medizinischen Ausbildung entstanden ist?

Der zentrale Aspekt dafür liegt darin, daß das heutige Studium von den Auswirkungen des naturwissenschaftlichen Paradigmas geprägt ist. Diese hat vor rund 150 Jahren, parallel zur Professionalisierung eingesetzt. Im Zuge dieser Entwicklung hat sich das Primat der Wissenschaft vor dem Handeln herausgebildet. Die Suche nach objektiven Zeichen, die sich als Organstörungen lokalisieren lassen, und die durch eine Sektion bestätigt werden können, bedeuten gleichzeitig eine Kritik an der bis dahin dominierenden Subjektivität, bei der es vor allem auf die individuelle Person des Arztes, auf dessen persönliche Fähigkeiten und auf seine Erfahrung in der Heilkunst und weniger auf das Heilen als eine systematische Methode angekommen ist. Zu diesem Wandel ein Zitat von aus einem Fachbuch, das vor 110 Jahren erschienen ist. Es behandelte die ärztliche Tätigkeit vor und nach der "naturwissenschaftlichen Wende" Mitte des 19. Jahrhunderts:

"Der Arzt der alten Zeit übte seinen Beruf wie begreiflich nach dem Wissen seiner Zeit: ... Die Medizin war subjektiv, und so wirkte der Arzt mehr durch sich selbst als durch seine Wissenschaft ... Der alte Arzt kam seinen Kranken näher; um die Ursache zu erforschen mußte er Psychologe sein, und Menschen und Verhältnisse beurtheilen, um mit Rücksicht darauf den Heilplan zu entwerfen ... Seine Aufgabe war vielleicht schwieriger als jetzt, - er hatte es nicht mit dem Objekt einer Krankheit, sondern mehr mit der Person des Kranken zu thun ... Jetzt ist es anders. Die Medizin ist tatsächlich objektiv geworden. Es ist gleichgültig, wer am Bett steht, aber er muß verstehen, zu untersuchen, zu erkennen. Er tritt an ein Objekt, welches er ausforscht, ausklopft, aushorcht, ausspäht, und die rechts und links liegenden Familienverhältnisse ändern daran gar nichts: der Kranke wird Gegenstand" (Volz, 1886).

Eine solche Auffassung hat zwar die Professionalisierung der Medizin zunächst einmal nachhaltig gefördert und zu teilweise spektakulären Erfolgen geführt. Inwischen sind jedoch Veränderungen eingetreten, die dieses Paradigma transzendieren. Ich will dazu einige Beispiele geben:

Viele Menschen erreichen ein höheres Lebensalter als je zuvor.

70% der heutigen Patienten weisen chronische Krankheitsbilder auf, die durch einfache somatische Kausalstrukturen keineswegs angemessen erklärt werden können. In beiden Fällen ist der Arzt auch in seiner Rolle als bio-psycho-sozialer Berater gefragt.

Immer mehr Krankheitbilder weisen heute umweltbezogene oder verhaltensbezogene Aspekte auf. Am Beispiel einer Allergie zeigt sich das komplexe Zusammenspiel verschiedener Ursachenfaktoren interner und externer Art in seinem prozesshaften Verlauf. Zum Verständnis solcher Krankheitsbilder sind multikonditionale, multifaktorielle und ökosystemische Krankheitsmodelle angezeigt.

Im Gefolge der technologischen Entwicklung stellen sich neue Herausforderungen an die medizinische Ethik? Was sind Kriterien für Tod, was heißt menschenwürdiges Sterben - um nur zwei wichtige Aspekte zu nennen. Der Arzt von heute - und erst recht der Arzt von morgen - hat sich mit diesen Problemen auf verschiedenen Ebenen, auf der technischen, auf der moralischen, aber auch auf der juristischen Ebene auseinander zu setzen. Für ein derart verantwortungsbewußtes ärztliches Handeln sind ebenfalls neue spezifische Wissensbestände und ein entsprechendes Bewußtsein nötig.

Das Arztbild von morgen muß sich an diesen veränderten Realitäten orientieren. Und diese Realitäten müssen Einzug in die universitäre Ausbildung halten. Dazu ist eine ganzheitliche Theorie der Medizin gefordert. Erst dann läßt sich das künftige Arztbild und damit die erforderlichen Kompetenzen der Ärztinnen und Ärzte von morgen umfassend und differenziert bestimmen.

Die dafür wesentlichen Elemente liegen erstens in einem erweiterten Verständnis pathogener Prozesse, das von monokausalen bis zu ökosystemischen Entstehungskonzepten reicht; sie liegen zweitens in einer Diagnostik, die neben den biologischen Aspekten auch intrapsychische, interpersonelle und soziokulturelle Faktoren in Rechnung stellt, und sie liegen drittens in Therapiekonzepten, die über ein arztzentriertes Vorgehen hinausgehend auch patientenorientert oder sogar selbsthilfebezogen sind.

Diese Elemente können sowohl auf die medizinische Forschung, auf die Krankenversorgung und auf die medizinische Ausbildung und Lehre bezogen werden. Und auf der Basis dieser Grundkonzepte und ihrer jeweiligen Modalitäten lassen sich die unterschiedlichsten medizinischen Tätigkeitsfelder kombinieren - vom Notarzt, der eine blutende Verletzung auf der Basis eines monokausalen - biologischen Modelles rasch analyiseren muß und sofort aktiv ärztlich tätig werden muß, bis hin zum Sozial- und Präventivmediziner, der keinen direkten Patientenkontakt mehr hat, sondern auf der Basis von epidemiologischen Daten und Überlegungen versucht, das bio-psycho-soziale System zu verstehen, und dessen Veränderungenstrategien selbsthilfeorientiert wären. Diese Tätigkeitsfelder lassen sich gleichzeitig im Sinne von Anforderungsprofilen für die unterschiedlichsten Arztbilder verwenden - vom Hausarzt bis zum Spezialisten.

Bedeutet das nun aus eignungsdiagnostischer Sichtweise, daß man für die Ärztinnen und Ärzte von morgen ebensoviele Kompetenzprofile entwickeln muß, wie Tätigkeitsfelder denkbar sind? Und diese Frage stellt sich natürlich analog auch für andere Professionen. Würde also ein einheitliches Arztbild gänzlich verlorengehen?

Dies ist gerade nicht der Fall. Es kann ja nicht darum gehen, für jedes einzelne Tätigkeitsfeld die jeweiligen Spezialisten frühzeitig auszuwählen und entsprechend auszubilden. Ein erneuertes, einheitliches Arztbild erfordert vielmehr modifizierte und zusätzlich Fähigkeiten. Diese Kenntnisse, Fähigkeiten und Werthaltungen gelten dann im Sinne von Ausbildungszielen und Basiskompetenzen für alle angehenden Ärzte.

- So erfordern sämtliche medizinischen Tätigkeitsfelder Kenntnisse der grundlegenden molekularen, strukturellen und funktionellen Eigenschaften der Zelle, aber auch Kenntnisse der wichtigsten Mechanismen der Krankheitsentstehung und der Wirkung der therapeutischen Interventionen.

- Und alle Tätigkeitsfelder erfordern z.B. die Fähigkeit Informationen kritisch zu werten und unter der Verwendung der modernen Informationstechnologie zweckbestimmt zu analysieren, aber auch die Fähigkeit, die Grenzen der eigenen Kompetenz zu erkennen.

- Und für alle Tätigkeitsfelder sind solche kognitiven Kompetenzen und Werthaltungen nötig, die die Reflexion des eigenen Verhaltens und ihrer personengebundener Grundlagen erlauben.

- Darüber hinaus sind in den allermeisten Tätigkeiten kommunikative Kompetenzen erforderlich - besipielsweise um bessere Diagnosen zu ermöglichen, oder um eine angemessene Gesprächsführung mit Patienten sicherzustellen.

Anforderungen an die Ausbildung

Die Frage nach Ärzten, die über alle diese Kompetenzen verfügen, verweist natürlich vor allem auf die Qualität der medizinischen Ausbildung. Zeitlich vorher stellt sich diese Frage aber auch in diagnostischer Hinsicht. Vor allem dann, wenn der Zugang zum Studium durch das Nadelöhr eines scharfen Numerus Clausus führt, muß nach den dafür verwendeten Selektionskriterien und den dafür eingesetzten Verfahren gefragt werden.

Daß die Medizin nach wie vor als eine attraktive Disziplin angesehen wird zeigt sich im Verhältnis von Nachfrage und Angebot bei der Zulassung zum Studium. Derzeit müssen in Deutschland, in Italien und in Israel 60% bis 70% der Bewerber für ein Medizinstudium abgewiesen werden, weil zu wenig Studienplätze vorhanden sind. Noch höher ist der Anteil abgewiesener Bewerber mit ca. 90% in Großbritannien. Und in Irland erhalten gar nur fünf von hundert Bewerbern letztendlich einen Studienplatz. Die Selektion erfolgt dabei bereits vor Aufnahme des Studiums. Etwas anders ist das französche Verfahren gestaltet: dort werden zunächst sämtliche Bewerber vorläufig zum Studium zugelassen. Am Ende des ersten Studienjahres werden dann im Rahmen des sogenannten "concours" 70-85% dieser vorläufig Studierenden herausgeprüft. Faktisch besteht also auch in Frankreich eine drastische Selektion.

International gesehen, finden wir Zulassungsregelungen, die auf der Grundlage unterschiedlicher Kriterien und mit mehr oder weniger ausgefeilten Verfahren die geeigneten Bewerber auslesen sollen. Das Spektrum der als Prädiktoren eingesetzen Merkmale reicht von der Abiturnote, der Wartezeit, einem Krankenhauspraktikum, oder dem französischen Probestudium bis hin zu offenen oder streng standardisierten Auswahlgesprächen auf der Grundlage biographischer Informationen. Aber auch psychometrische Hochschuleingangstests kommen häufig zum Einsatz. Etwa der amerikanische "Medical Competence Aptitude Test (M-CAT)", der schwedische "Scholastic Aptitude Test (SAT)" oder der parallel in 7 Sprachen und 6 mal pro Jahr durchgeführte "psychometric entry test (PET)" aus Israel.

Im Unterschied zu einem ungewichteten Losverfahren für alle Bewerber werden die genannten Verfahren natürlich deshalb eingesetzt, weil man sich von ihnen eine eignungsdiagnostisch fundierte Entscheidungshilfe erhofft. Da die Kosten eines Medizinstudiums für jede Gesellschaft recht hoch sind,  werden "Fehlbesetzungen" im Sinne von Studienwechslern und Studienabbrechern volkswirtschaftlich besonders teuer. Aber natürlich auch um ein qualitativ hochwertiges Studieren gewährleisten zu können, sollen die knappen Studienplätze an die geeignetsten Bewerber vergeben werden.

Kriterien für Studienerfolg

Die Ärztliche Vorprüfung

Als Kriterium für Studienerfolg dient hier die ÄVP, und zwar ihr schriftlicher Teil. Er besteht aus 320 Forced-Choice Fragen, die vom Institut für Prüfungsfragen in Mainz entwickelt werden. Die ÄVP schließt den ersten Teil des Studiums ab. Etwa 20 % der Studierenden fallen beim ersten Mal durch; fast alle, die die ÄVP bestanden haben, schließen ihr Studium auch erfolgreich ab.

Zieht man indes als Kriterium auch noch den mündlichen Teil der ÄVP heran und schlüsselt den TMS nach seinen wesentlichen Konzepten auf, dann ergeben sich bemerkenswerte Akzentuierungen dieses Zusammenhangsmusters ....

Abiturnote

Erst in der Kombination mit der Abiturnote kann die Korrelation erhöht werden. Oder besser ausgedrückt. Zusammen mit dem TMS erhöht sich die prognostische Validität der Abiturnote in bezug auf den mündlichen Teil der ÄVP in sehr geringem Ausmaß.

Spätestens an dieser Stelle wird man fragen: Wie haben denn diejenigen Studierenden in der ÄVP abgeschnitten, die über die nicht leistungsbezogenen Quoten zugelassen worden sind? Es zeigt sich hier ein Muster, das freilich nach den bisherigen Zusammenhängen kaum überraschen kann:

Die jeweils mit Abstand besten Leistungen - im Schriftlichen wie im Mündlichen - weisen die Studierenden der Abitur-Test-Quote auf. Die über die Wartezeit-quote und über die Auswahlgesprächsquote zugelassenen Studierenden unterscheiden sich in ihrer Leistung kaum voneinander. Beide zeigen im schriftlichen wie im mündlichen deutlich schlechtere Leistungen. Bemerkenswert finde ich den Tatbestand, daß die über die Test-Quote zugelassenen Studenten in ihren mündlichen Leistungen kaum besser abschneiden als die per Wartezeit und Gesprächs-Quote Zugelassenen. Dagegen schneiden sie im schriftlichen Teil wesentlich besser ab.

 

Zusammenfassung/Fazit

Ich habe eingangs nach den Kompetenzen gefragt, die den guten Arzt von morgen kennzeichnen. Weiter habe ich ein Arztbild skizziert, bei dem neben den grundlegenen Kenntnissen der biologischen und somatischen Zusammenhänge auch solche Kompetenzen unerläßlich sind, die man als sozialkognitive und kommunikative Kompetenzen bezeichnen kann. Und schließlich habe ich das derzeitige Zulassungssystem verdeutlicht und einige Befunde zum Zusammenhang von Zulassungsmodalität und dem Abschneiden in der ersten, aber wichtigsten Prüfung des Medizinstudiums vorgestellt.

Ich treffe nun einige Feststellungen und komme dann zu einem Fazit:

1. Der Test für medizinische Studiengänge verfügte über eine hohe kriterienbezogen Validität. Er war allerdings nicht in der Lage - und dies hat er auch nicht beansprucht - kommunikative und sozial-kognitive Kompetenzen zu messen. Vielmehr erfasste er vor allem jene Aspekte des schlußfolgernden Denkens, die stark den einfacheren Kausalmodellen des früheren und heutigen Studiums entsprechen.

2. Im bundesdeutschen Zulassungsverfahren stellen jene Bewerber, die zu Auswahlgesprächen eingeladen werden, im Hinblick auf ihre Abitur- und Testleistung bereits eine "Negativ-Auslese" dar. Denn die diesbezüglich stärkeren Bewerber sind ja bereits in den leistungsbezogenen Quoten zum Zuge gekommen. Im Hinblick auf unsere Fragestellung wäre es höchst interessant zu erfahren, welche studien- und berufsbezogenen Fähigkeiten - und zwar solche, die nicht in der ÄVP erfasst werden - gerade diese Studierenden aufweisen.

3. Auswahlgespräche bieten im Unterschied zum psychometrischen paper and pencil Gruppen-Test prinzipell die Möglichkeit, Bewerber auch im Hinblick auf berufsbezogen-selbstreflexive oder auf nichtintellektuelle Kompetenzen auszulesen. Allerdings wird dies bislang nicht systematisch für alle Kandidaten gemacht. Dies liegt an vielerlei Gründen. Unter anderem fehlen dafür klar definierte berufsbezogene Anforderungen. Weitere Gründe liegen in der fehlenden Interviewerschulung und in der fehlenden Standardisierung der Gespächssituation.

4. Unter dem Aspekt der sozialen Validität scheinen Auswahlgespräche bei den Bewerbern besser abzuschneiden als andere Quoten. Jedenfalls zeigt dies die Erfahrungen (nach Bloch, 1995) der McMaster University in Kanada. Seit 20 Jahren werden dort Auswahlgespräche mit geschulten Beobachtern unter standardisierten Bedingungen durchgeführt. Trotz Ablehnungsquoten von normalerweise 95% ist dieser Zulassungsmodus dort breit akzeptiert. Allerdings sind, schon allein aus finanziellen und organistorischen Gründen, derartige Gesprächsprozeduren kaum auf die aktuelle deutsche Situation zu übertragen.

Welches Fazit läßt sich nun ziehen?

Zunächst kann man davon ausgehen, daß Zulassungsbeschränkungen für das Medizinstudium auf absehbare Zeit weiterbestehen werden. Denn die Medizin als Profession ist quantitativ wie qualitativ in einer krisenhaften Entwicklung begriffen. Dies bedeutet aus der Sicht einer dominanten Profession: beide Aspekte können nur dann zum positiven verändert werden, wenn mittelfristig noch mehr Studienplätze abgebaut werden. Dadurch könnte die Ausbildung verbessert und potentielle Ärztearbeitslosigkeit vermieden oder verringert werden.

Im Hinblick auf die Selektionsfunktion der psychologischen Eignungsdiagnostik sehe ich zwei Szenarios, die zu unterschiedlichen Konsequenzen führten:

Szenario 1: Die Organisation des Medizinstudiums bleibt im Großen und Ganzen so wie sie ist. Dies impliziert natürlich, daß Lernziele, Lernformen und Lerninhalte unverändert bleiben. Und es bedeutet zudem ein zentrales Prüfungsverfahren mit multiple-choice-Schwerpunkt.

Szenario 2: Bereits laufende Reformbestrebungen werden ausgeweitet und das Medizinstudium wird im Sinne der vorgetragenen Bildungsziele reformiert. Dies führt zwangsläufig auch zu einer beträchtlichen Veränderung der Lehr- und Lernformen und damit auch zu veränderten Formen der Kontrolle des Kompetenzerwerbes.

Unterstellt man das erste Szenario, dann würde ein inzwischen überholtes Arztbild in der universitären Ausbildung perpetuiert. Bezogen auf die Auslese der künftigen Medizinstudenten heißt das nämlich folgendes: Die ÄVP würde weiter als zentrales Erfolgskriterium eingesetzt werden und damit die Vorhersagequalität der Testquote und der Abitur-Test-Quote rechtfertigen. Das bisherige System von Vorhersage und Studienerfolg würde stabilisiert werden. Und wie ich gezeigt habe, profitieren vom derzeitigen Auslese-System ja vor allem jene Bewerber, die sich den derzeitigen Lehrformen und Lerninhalten besonders gut anpassen können.

Geht man nun vom zweiten Fall einer deutlichen Veränderung des Studiums im Sinne der entwickelten Perspektive aus, dann stellt sich die Lage anders dar. Denn dann verändern sich auch die Grundlagen der Prognosekriterien. Ich will dies pointiert formulieren: Um einen hohen Wert bei einer Prüfung zu erzielen, die offene, problematisierende schriftliche und mündliche Erörterungen verlangt, sind möglicherweise andere Fähigkeiten hilfreich, als bei einer multiple-choice-Prüfung bisherigen Zuschnittes.

Beide Szenarios verweisen also auf ein Hauptproblem der psychologischen Diagnostik: nämlich auf das Problem der Erfolgskriteriums. Während große Anstrengungen darauf verwendet worden sind, die Qualität der Prädiktoren zu erhöhen, erschien verständlicherweise mit der ÄVP als wichtigstem Indikator für Studienerfolg das Kriteriumsproblem elegant gelöst.

Gerade im Bereich der Indikatoren für Studienerfolg im Sinne der skizzierten ärztlichen Kompetenzen liegen die Herausforderungen für die Zukunft. Im Rahmen einer Neuorientierung des Studiums ist es deshalb angezeigt, von vorneherein der Beziehung zwischen Selektion und Ausbildung mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

Erst im Rahmen eines reformierten Studiums bekäme dann die fundierte Entwicklung von Auswahlgesprächen eine neue Chance. Denn mit Blick auf das erweiterte Arztbild könnte man hier den Versuch unternehmen, stärker als bisher auch sozialkognitive, kommunikative und professionsreflexive Kompetenzen sowohl in die Prediktoren als auch in die Prognosekriterien einzubeziehen.

Zum Schluß möchte ich eine zweite Herausforderung noch kurz benennen. Ich meine damit eignungsdiagnostische Verfahren, deren Zweck nicht primär in der Selektion, sondern in der Identifikation und Förderung von personengebundener Kompetenzen liegt. Denkbar sind etwa Workshopartige Veranstaltungen, die parallel zu den Fächern des Kernstudiums schon im ersten Studienabschnitt eingesetzt werden. Vielleicht wird die Grundidee noch deutlicher wenn man an die im Bereich der Führungskräfteweiterbildung verwendeten Verfahren denkt. Dort spricht man von Potentialanalysen oder von Assessment-Centers zur Entwicklung von Führungskompetenzen.

Der zentrale Unterschied zu üblichen Seminaren und Workshops liegt darin, daß die Studierenden individuell und personenbezogen ein Rückmeldung zu ihren Kompetenzen im kognitiven wie im sozial-kommunikativen Bereich durch trainierte Beobachter erhalten. Gerade in einem reformierten Studium könnten so ärztliche Basiskompetenzen für spezifische Tätigkeitsfelder erarbeitet, definiert, operationalisiert und - im Rollenspiel oder in realen Praktikumssituationen - erprobt werden.

In meinen Augen würde es eine Stärkung der medizinischen Professionalisierung bedeuten, wenn eine so verstandene Psychodiagnostik unter der Mitwirkung kompetenter Fachvertreter eingesetzt würde. Denn man hätte damit eine permanente Reflexion des ärztlichen Bildes und seiner Anwendungen im ärztlichen Handeln in der Aausbildung institutionalisiert.

 

Für Fragen und Diskussionsbeiträge wenden Sie sich gerne an:Dr. Hans-Uwe Hohner

 


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