Information Management and Virtual Corporation
Chancen und Grenzen virtueller Organisationen
Bücher zum Thema aussuchen
Selten hat eine neue Technologie so große Hoffnungen und gleichzeitig so viel Angst
geweckt wie die Informationstechniken. Besonders gravierende Konsequenzen der virtuellen
Revolution werden für die Zukunft von Unternehmungen erwartet. Noch sind die Diskussionen
darüber jedoch eher durch die Suche nach Fragen als durch die Suche nach Antworten
geprägt. Wie ist die Virtual Corporation in bestehende Organisationskonzepte einzuordnen?
Läßt sich solch ein Gebilde noch in bekannte "Schubladen" packen oder werden
die konventionellen Muster gesprengt? Welche Technologien stehen bisher zur Verfügung und
welchen Einfluß haben sie auf Kommunikation und Informations-management? Welche
Konsequenzen ergeben sich für den Menschen im virtuellen Unternehmen? Wo liegen aus
heutiger Sicht die Grenzen virtueller Unternehmungen?
Die Umwelt, in der Unternehmungen leben und agieren, unterlag in den letzten Jahrzehnten
einem immer rascheren Wandel: Eine zunehmende Europäisierung und Globalisierung, immer
kürzere Technologie- und Produktzyklen, aber auch soziale Entwicklungen - wie die
zunehmende Tendenz zur Individualisierung der Gesellschaft - stellen Unternehmen vor neue
Anforderungen. Dis-kontinuitäten und völlig unvorhersehbare Entwicklungen lassen
dauerhafte und stabile Wett-bewerbsbedingungen unwahrscheinlich werden und Flexibilität
und Anpassungsfähigkeit zu den wichtigsten Erfolgsfaktoren aufsteigen. In diesem
Zusammenhang erscheint es naheliegend, daß alte Managementsysteme und
Organisationsstrukturen mit festen Hierarchien und einem grundsätzlichen Mißtrauen
gegenüber den Mitarbeitern nicht mehr in der Lage sind, den neuen Herausforderungen
gerecht zu werden. Die Weiterentwicklung der Informations- und Kommunikations-technologie
bietet jedoch die Chance bekannte Strukturen und Muster hinter sich und völlig neue
Formen entstehen zu lassen. Die Mitarbeiter eines Unternehmens müssen nicht mehr
notwendigerweise unter einem Dach oder gar auf einem Kontinent konzentriert sein.
Koordination durch Kommunikation zwischen zwei weit entfernten Punkten ist nicht mehr
langsam und teuer, sondern läßt sich in die Alltagsarbeit integrieren. Fragen nach
Wohnort und Mobilität scheinen bei der Personalbeschaffung überflüssig zu werden.
Die Abgrenzung einer Unternehmung gegenüber der Umwelt und anderen Organisationen weicht
auf und läßt die gewohnte Eindeutigkeit hinter sich. Unternehmungen der Zukunft bewegen
sich in Netzwerkstrukturen zwischen den Polen Hierarchie und Markt. Wo endet die
wirtschaftliche und rechtliche Selbständigkeit von Unternehmungen bei engen strategischen
Allianzen und Joint Ventures? Wo beginnt die Autonomie eines Profit Centers in einem
multinationalen Konzern? Die Kontrolle und Anleitung der Mitarbeiter wird durch
partizipative und selbstorganisatorische Konzepte ersetzt. Die Mitarbeiter werden zu
Unternehmern im Unternehmen. Virtuelle Organisationen bieten damit ein Höchstmaß an
Flexibilität zur Handhabung der komplexen Umwelt.
Neben einer Modifizierung der Organisationsform werden auch die Arbeitsplätze in einer
virtuellen Organisation eine starke Veränderung erfahren. Die Unterstützung der
Koordination zwischen verschiedenen Mitarbeitern durch neue Technologien reformiert
insbesondere, die informelle Kommunikation - also das dichte Netz informeller Beziehungen
abseits der formalen Dienstwege. Neben den etablierten Formen der Telekommunikation
öffnen computergestützte Systeme, wie elektronische Postsysteme ("E-Mail"),
Videokonferenzen oder Bulletin Boards (elektronische "schwarze Bretter"), den
Weg zur virtuellen Organisation. Der Vorteil dieser Kommunikations-formen liegt in der
Aufhebung von räumlicher und/oder zeitlicher Distanz. E-Mail-Konferenzen oder Bulletin
Boards ermöglichen Diskussionen ohne die Notwendigkeit einer gleichzeitigen Anwesenheit
der Teilnehmer. Neue Arbeitsabläufe und Arbeitsstrukturierungen, wie beispielsweise
Teleheimarbeit, entstehen und ermöglichen den Mitarbeitern selbstbestimmte Arbeitszeiten
und die Chance auf die Kombination von Beruf und Familie. Die Kommunikationsdichte
zwischen geographisch getrennten Kollegen bleibt bestehen und Dienstreisen werden zum
Großteil der Vergangenheit angehören. Die ständige Präsenz scheint sogar die Bildung
einer gemeinsamen Unternehmenskultur zu ermöglichen, ohne auf dem gleichen Kontinent
wohnen und arbeiten zu müssen. Schließlich verspricht man sich durch das verringerte
Mobilitätsbedürfnis - man denke nur an den wegfallenden Pendlerverkehr durch
Teleheimarbeit - auch positive ökologische Effekte.
Werden sich Bill Gates Visionen erfüllen und im Zeitalter der Informationsgesellschaft
konventionelle Unternehmungen zu Relikten einer vergangenen Periode zählen? Nun, den
aufgezählten Chancen stehen auch eine Reihe von Risiken gegenüber, die der Umsetzung von
virtuellen Unternehmungen noch weit ins neue Jahrtausend hinein Grenzen setzen werden. Die
Systeme der elektronischen Post und der Videokonferenzen sind noch nicht weit genug
entwickelt, um den effizienten Einsatz im Organisationsalltag zu gewährleisten. Noch
allzu oft verhindert die Inkompatibilität verschiedener Softwaresysteme eine
störungsfreie Kommunikation. Durch die steigende Konvertierungsfähigkeiten der Systeme
ist jedoch in naher Zukunft der Fall dieser Kommunikationsschranken zu erwarten.
In den nächsten Jahren ist die Lösung eines ganz anderen Problems nicht zu erwarten. Der
Prozeß der direkten Kommunikation zwischen zwei Personen beschränkt sich in der Regel
nicht nur auf den reinen Austausch von Informationen. Stehen sich zwei Menschen von
Angesicht zu Angesicht gegenüber, so werden die gesprochenen Informationen durch
nonverbale Signale ergänzt und ermöglichen dadurch oft auch erst die wirkliche
Verständigung. Diese nonverbalen Signale werden bei der nicht gesprochenen Kommunikation
ausgeblendet und können dadurch Miß-verständnisse auslösen. Je stärker das
gesprochene Wort und die mündliche Koordination im Arbeitsalltag durch die verfremdenten
neuen Technologien ersetzt werden, um so stärker verschwindet die unterstützende Kraft
der nonverbalen Signale. Die Kommunikation verliert mit ihrer sinnlichen Erfahrbarkeit
einen Teil ihrer sozialen Aufgabe.
In engem Zusammenhang dazu steht die Angst der Menschen vor einer durch die
Informationsgesellschaft verursachten Vereinsamung. Der Arbeitsplatz im Betrieb dient dem
Menschen nicht nur zum Broterwerb. Zur Arbeit gehören auch soziale Kontakte zu Kollegen,
Vorgesetzten, Kooperationspartnern und Kunden. Die Arbeit lebt von Kollegialität,
Bestätigung und Anerkennung ebenso wie von Kritik und Auseinandersetzung. Kreativität
und Innovation gedeihen nur auf dem Boden lebendigen Austauschs und Dialogs. Ein Rest an
realer Kommunikation wird auch morgen unverzichtbar sein. In diesem Zusammenhang stellt
sich auch die Frage, inwieweit sich bei einer Beschränkung auf Telekommunikation und
computergestützte soziale Interaktionen eine Unternehmungskultur herausbilden kann. Die
Ausblendung der sozialen Kontakte birgt die Gefahr in sich, zukünftige Unternehmungen zu
seelenlosen Gebilden verkommen zu lassen.
Die vorschnelle Übernahme der neuen Technologien geht nicht nur auf Kosten sozialer
Beziehungen, sondern überlastet auch vielfach die menschliche Lernfähigkeit. Eine
Vielzahl von Mitarbeitern steht den technischen Neuerungen völlig unvorbereitet und
überfordert gegenüber. Als Konsequenz daraus könnten Akzeptanzwiderstände und
Grabenkriege zwischen den Mitarbeitern entstehen. Eine kleine Gruppe von
"Computer-Freaks", die von Kindheit an den Umgang mit den Medien gelernt haben,
steht der Mehrheit der "Computer-Analphabeten" gegenüber, die sich mit der
neuen Technologie schwer tun.
Schließlich bildet auch die Gewährleistung der Datensicherheit ein großes Problem.
Wirklich sicher sind Computernetze erst, wenn sie stillstehen. Durch ihren Einsatz in
virtuellen Organisationen werden sie aus diesem Grund auch immer ein Sicherheitsrisiko
darstellen. Bei jeder Übermittlung sensibler Daten besteht die Gefahr des unbefugten
Zugriffs Dritter. So wird beispielsweise trotz der intensiven Suche nach sicheren
Verschlüsselungsmethoden noch immer davon abgeraten, im Internet bei Zahlungsvorgängen
eine Kreditkartennummer anzugeben. In diesem Sinne können auch unternehmensinterne
Netzwerke keine völlige Sicherheit garantieren.
Welche Lösungsansätze bieten sich, um die aufgezeigten organisatorischen und sozialen
Risiken zu handhaben? Eine rein virtuelle Unternehmung, in der die Mitmenschen im
Arbeitsalltag nicht über den Status einer E-Mail-Adresse oder ein Gesicht auf dem
Bildschirm hinausgelangen, wird sicherlich noch lange Zukunftsmusik bleiben. Eine
physische Zusammenkunft in Form von regelmäßigen Meetings oder Workshops muß die
Sterilität des Cyberspaces durchbrechen. Vorstellbar wäre auch eine
"Teilzeit-Teleheimarbeit", die durch Anwesenheit vor Ort im Betrieb ersetzt
wird. So gelangen wir wieder an den Ausgangspunkt unserer Überlegungen. Das Zeitalter der
virtuellen Unternehmungen steckt noch in den Kinderschuhen, ist wohl jedoch aufgrund der
gewaltigen Chancen nicht mehr aufzuhalten.
Bücher zum Thema aussuchen
|