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Andreas Wawrzinek, Nature, Nature Medicine, Science, 19.11.1998 |
Dogma der Hirnforschung gestürzt |
Alte
Hüte werden widerlegt. |
Die Zellen des Gehirns sind beim erwachsenen Menschen fest
miteinander verknüpft, um dem Gedächtnis einen sicheren Halt zu geben. Diesem alten
Dogma der Hirnforschung haben diverse Untersuchungsergebnisse, die in den letzten Wochen
veröffentlicht wurden, einen Todesstoß gegeben.
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Neue
Kontakte sind voll funktionsfähig. |
In "Nature" berichtet die amerikanische Forscherin
Sherre Florence von der Vanderbilt Universität, daß im Gehirn von Affen Nervenzellen
nach einem neurologischen Schaden die Reichweite ihrer Ausläufer verdoppelt haben. Die
insgesamt vier Affen wiesen Verletzungen auf, durch die Signale der sensorischen
Nervenbahnen der Hand die Großhirnrinde nicht mehr erreichten. Die im Kortex betroffenen
Nervenzellen suchten sich daraufhin neue Aufgaben: Mit Hilfe von bildgebenden Verfahren
fand Florence heraus, daß die Zellen Verbindungen zu weiter entfernt gelegenen Neuronen
im Kortex aufgenommen hatten. Die neuen Kontakte schienen voll funktionsfähig zu sein,
was ein verändertes Aktivitätsmuster der betroffenen Hirnareale nahelegte. |
Das
Gehirn behält während des gesamten Lebens das Potential zur Selbsterneuerung. |
In der aktuellen Ausgabe des Fachblattes "Nature
Medicine" berichten Fred H. Gage vom Salk Institute for Biological Studies und seine
Kollegen, daß sich Zellen im menschlichen Gehirn sogar teilen können. Bisher waren
Forscher der Meinung, daß Hirnzellen schon kurz nach der Geburt aufhören, sich zu
vermehren. Gage: "Das menschliche Gehirn behält im Verlaufe des gesamten Lebens das
Potential zur Selbsterneuerung." Noch ist jedoch nicht klar, ob es sich bei den
teilenden Zellen auch um funktionsfähige Neuronen handelt. Gage und seine Kollegen
untersuchten die Gehirne von fünf schwedischen Patienten, die an Krebs gestorben sind.
Die Patienten hatten vor ihrem Tod Bromodesoxyuridin erhalten. Diese Substanz wird in
Zellen integriert, die sich teilen. Die Forscher suchten in den Gehirnen der Verstorbenen
daher gezielt nach der Substanz. Im Gyrus dentatus wurden sie fündig. Das Areal gehört
zum Hippocampus, der eine zentrale Rolle beim Lernen und Erinnern eines Menschen einnimmt.
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des sensomotorischen Kortex kann sich reorganisieren. |
Einen weiteren Hinweis zur Plastizität des Gehirns haben Edward
Jones von der Universität Kalifornien in Davis und Tim Pons von der Wake
Forest-Universität vor kurzem im Fachblatt "Science" veröffentlicht. Bei
Affen, denen die Armnerven durchtrennt wurden, sind die ihrer Eingangssignale beraubten
Areale des Gehirns geschrumpft. Benachbarte Areale haben sich dagegen ausgeweitet. Bei
weiteren Untersuchungen fanden die Forscher außerdem Veränderungen im Thalamus, dem
"Tor zum Großhirn". Dort wurden Nervenbahnen, die ursprünglich Signale der
Arme zum Großhirn weitergeleitet hatten, dem Gesicht zugeordnet. "Wir haben gezeigt,
daß wenigstens ein Drittel des gesamten sensomotorischen Kortex die Fähigkeit besitzt,
sich zu reorganisieren und (...), daß wenigstens ein Drittel des Thalamus ebenfalls die
Fähigkeit für einen ganz ähnlichen Typ der Umorganisation besitzt", schreiben die
Wissenschaftler.
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